Antidemokratische Einstellungen und Verhaltensweisen gefährden das friedliche Zusammenleben einer Gesellschaft und erschüttern diese in ihren demokratischen Grundfesten. Den Schulen kommt als Ort gelebter Demokratie sowie als zentrale Sozialisationsinstanz eine besondere Rolle bei der Adressierung dieser gesellschaftlichen Gefährdungen zu. Berufliche Schulen im Speziellen werden dabei von politischen Bildungsangeboten bisher wenig beachtet. Sie stellen häufig die letzte Bildungsinstitution dar, die noch intentionale politische Bildungsangebote an junge Erwachsene richten kann. Insofern liegen in der pädagogischen Arbeit besondere Herausforderungen wie Potenziale vor. Lehrkräfte erleben im Schulalltag Vorfälle demokratiefeindlichen Verhaltens. Allerdings fehlen ihnen häufig Wissen und Fähigkeiten für einen professionellen Umgang damit, sie finden nur selten eine auf diese Probleme ausgerichtete Struktur innerhalb der Schule vor und können nicht auf ein tragendes Unterstützungssystem durch Kolleg:innen und externe Expert:innen zurückgreifen.
Das Projekt verfolgt daher die Ziele, insgesamt 18 Lehrkräfte an sechs Beruflichen Schulen aus ganz Hessen systematisch (1) in den Themenfeldern Extremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit fortzubilden, (2) ihre spezifischen, lokalen Problemlagen gemeinsam mit den Schulleitungen zu identifizieren und Lösungsansätze bzw. Strategien zu entwickeln sowie (3) diese Lehrer:innen zu Berater:innen weiterzubilden. In den Fortbildungs- und Beratungsmodulen erlangen die Lehrer:innen fachspezifische Kenntnisse sowie darauf bezogene Urteils- und Handlungskompetenzen im Umgang mit demokratiefeindlichen Situationen. (4) Die Lehrkräfte vernetzen sich mit außerschulischen Bildungsträgern und bilden Fähigkeiten aus, fallbezogen Kolleg:innen begleiten zu können. (5) Des Weiteren qualifiziert das Projekt auch Berater:innen fachlich hinsichtlich gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und spezifisch für die Beratungsarbeit an Beruflichen Schulen.
Das Projekt wird von Prof. Dr. Susann Gessner (Philipps-Universität Marburg) geleitet. Ihr Team übernimmt die Projektkoordination und entwickelt, erprobt und begleitet das Fortbildungskonzept. Das Projekt hat eine Laufzeit von 2,5 Jahren. Es startete im Mai 2022 und endet im März 2025.
Weitere Projektstandorte
In Brandenburg hat das Projekt 2021 unter der Leitung von Prof. Dr. Ingo Juchler (Universität Potsdam) mit einer Laufzeit von drei Jahren begonnen. Weitere Informationen können der brandenburgischen Projektwebsite entnommen werden.
In Niedersachsen leitete von 2018 bis 2021 Dr. Sebastian Fischer von der Leibniz Universität Hannover das niedersächsische Modellprojekt. Weitere Informationen können den Seiten des Instituts für die Didaktik der Demokratie und des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung entnommen werden.
In Sachsen wurde das Projekt zum ersten Mal umgesetzt. Unter der Leitung von Dr. Rico Behrens (damals Technische Universität Dresden) startete das Projekt 2015 und wurde Vorbild für weitere Bundesländer. Das Modellprojekt wurde anschließend erfolgreich in Regelstrukturen transferiert. Weitere Informationen können der Projektseite der TU Dresden entnommen werden.
Ziele
Das Ziel des hessischen Projekts ist es erstens, die professionellen Urteils- und Handlungskompetenzen von Lehrkräften an Beruflichen Schulen im Zusammenhang mit antidemokratischen Einstellungen und Verhaltensweisen vonseiten der Schüler:innen zu fördern. Die Lehrkräfte erwerben und vertiefen hierzu Wissen zu antidemokratischen Phänomenen. Hierzu zählen u. a. Kenntnisse zu Rechtsextremismus, zu Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (bspw. Antisemitismus), zu den Sozialisationsprozessen im jungen Erwachsenenalter und zur Rolle digitaler Erscheinungsformen. Fallbezogen wird dieses Wissen in Verbindung mit der Ausbildung von Handlungskompetenzen und einer professionellen Haltung unter Begleitung von Expert:innen und Berater:innen angewandt und reflektiert. Zweitens entwickeln die Lehrkräfte darüber hinaus Kompetenzen in der fallspezifischen, kollegialen Beratung. Drittens werden sowohl außerschulische und lokale Bildungsträger als auch die Schulen als Schulgemeinschaften in den Prozess eingebunden, um so systematisch ein übergreifendes Unterstützungsnetzwerk zu schaffen resp. zu stärken. Viertens werden die Berater:innen für die fallspezifische Beratung an Beruflichen Schulen (weiter-)qualifiziert, indem bspw. die besondere Rolle von Beruflichen Schulen und die Spezifika der relevanten Phänomene vermittelt werden.
Aufbau und Inhalte
(1) Fachliche Qualifizierung und Handlungsstrategien entwickeln: Ausgehend von den identifizierten Problemlagen werden angepasste Fortbildungen zu Themen wie bspw. Rechtsextremismus, menschenverachtende Vorurteile, rechtsaffinen Jugendkulturen, Rassismus, Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Fake News und Demokratiebildung angeboten. Anhand der Erfahrungen der Lehrkräfte mit Konfliktsituationen werden mit dem erworbenen Fachwissen fallbezogen Handlungs- und Reaktionsstrategien des Konfliktmanagements entwickelt und erprobt.
(2) Reflexion und Beratung: Gemeinsam mit den Schulleitungen identifizieren die Lehrkräfteteams individuelle, aber auch gesamtschulische Problemlagen. Externe Berater:innen unterstützen die Lehrkräfteteams in der Reflexion der Situationen und bei der Entwicklung von passgenauen Strategien zur Prävention und Intervention.
(3) Qualifizierung zu Berater:innen: Die Lehrkräfte werden unter Reflexion ihrer eigenen Erfahrungen zu kollegialen Fallberater:innen fortgebildet. Sie erlernen hierzu grundlegende Kenntnisse der kollegialen Fallberatung, u. a. Instrumente zur Diagnose von Problemursachen und Einschätzung des Problemumfangs, Methoden der kollegialen Fallberatung und entwickeln eine professionelle Haltung als Berater:in. Anhand konkreter Fallbeispiele werden die Beratungspraxis, die notwendigen Voraussetzungen, Möglichkeiten und etwaige Grenzen diskutiert.
(4) Vernetzung: Die Lehrkräfte und Schulleitungen haben die Möglichkeit, ihre Projekterfahrungen und Erlebnisse aus der Arbeit in ihren Klassen und Schulen mit Kolleg:innen der anderen Projektschulen zu teilen, praktische Hinweise und Unterstützung zu erhalten. Außerdem soll die Zusammenarbeit von Schulen und außerschulischen Bildungsträgern intensiviert werden. Dazu werden Bildungsträger zu Veranstaltungen der Qualifizierungsreihe eingeladen.
(5) Fortbildung der Berater:innen: Neben den Lehrkräften erhalten im Rahmen des Projekts auch die Berater:innen die Möglichkeit zur Fortbildung, vor allem in den Spezifika der Beruflichen Schulen und der Beratungsarbeit im Kontext von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Diese Bausteine werden in dem Projekt modular umgesetzt:
Wissenschaftliche Begleitung: Interne Evaluation
Das Projekt „Transfer und Qualitätssicherung der Qualifizierungsmodule im Rahmen von Starke Lehrer – starke Schüler (Hessen)“ verfolgt ergänzend zur externen Evaluation primär das Ziel, die Workshops in den Modulen 1 (Demokratiefeindliche Einstellungen und Verhaltensweisen) und 5 (Schulberatung und Unterstützungssysteme) zu evaluieren und zur Qualitätssicherung beizutragen, sodass der Transfer in Regelstrukturen der hessischen Aus- und Fortbildung erfolgsversprechend möglich ist. Darüber hinausgehend ist auch die Evaluation der weiteren Module möglich. Die Qualitätssicherung der Fortbildungsinhalte wird mit wissenschaftlichen Methoden sichergestellt, bspw. durch qualitative Leitfadeninterviews und schriftliche, standardisierte Befragungen.
Das Projekt wird mittels einer formativen Evaluation der Fortbildungsangebote erheben, inwiefern die angestrebte Steigerung der subjektiv wahrgenommenen Kompetenzzuwächse der beteiligten Lehrkräfte gelingt. Des Weiteren stehen die Implementationsstrategien an den Schulen sowie die Vernetzung von Schulleitungen, Kollegien, außerschulischen Bildungsträgern und der Hessischen Lehrkräfteakademie im Fokus. Das Konzept des Modellprojekts sowie die Evaluationsergebnisse werden auf einer Abschlussveranstaltung im Winter/Frühjahr 2025 präsentiert. Mit externen Expert:innen, Lehrkräften, Schulleitungen, Wissenschaftler:innen und allen projektbeteiligten Akteur:innen soll hier die Projektkonzeption hinsichtlich des Transferpotenzials reflektiert und diskutiert werden. Die Ergebnisse des begleitenden Evaluationsprojekts werden in ein politikberatendes Strategiepapier Eingang finden.
Das Projekt „TraQ SLSS-H“ wird im Rahmen der Modellförderung
durch die Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.
Wissenschaftliche Begleitung: Externe Evaluation
Die externe Evaluation wird von Prof. Dr. Rico Behrens und Stefan Breuer von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt durchgeführt.
Prof. Dr. Rico Behrens
Rico Behrens ist seit April 2019 Professor für Politische Bildung und Didaktik der Sozialkunde an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zuvor war er an der Technischen Universität Dresden Projektleiter des sächsischen Modellprojekts von „Starke Lehrer – starke Schüler“. In seiner Dissertation beschäftigte sich Behrens bereits mit den subjektive Theorien und Handlungsstrategien sächsischer Politiklehrer:innen zum Phänomen rechtsextremer Jugendkultur. Rico Behrens leitet die externe Evaluation der Projektstandorte Brandenburg und Hessen.
Stefan Breuer
Stefan Breuer ist seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Politische Bildung und Didaktik der Sozialkunde an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Zuvor war er seit 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Didaktik der Politischen Bildung an der Technischen Universität Dresden und war dort Projektkoordinator des Projekts „Starke Lehrer – starke Schüler“ in Dresden. Heute ist er für die externe Evaluation der Projektstandorte Brandenburg und Hessen mitverantwortlich.
Partner
Förderer
Das Projekt wird von Mai 2022 bis März 2025 von der Robert Bosch Stiftung, dem Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen sowie der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert und unterstützt.